Demokratie und Verfassung
Grundsätzliches
VISION ÖSTERREICH tritt für die Beendigung der realpolitisch über viele Jahrzehnte fehlentwickelten Parteiendemokratie mit all ihren Auswüchsen zu Lasten der Bevölkerung ein. Gelebter Parteienproporz, schamloser Postenschacher (vor allem bei der Besetzung öffentlicher Schlüsselpositionen auf Basis von Geheimvereinbarungen der Regierungsparteien, sogar schon im Zuge von Koalitionsverhandlungen) oder die Aushöhlung der Gewaltenteilung durch politische Einflussnahme auf Justiz oder den VfGH als obersten Hüter der Grundrechte – sei es auch nur durch Mitwirkung an der Besetzung von Richterposten – sind pures Gift für eine funktionierende Demokratie. VISION ÖSTERREICH strebt daher eine grundlegende Änderung des realpolitischen Systems durch Schaffung neuer Rahmenbedingungen für dieses System an. Dies getragen von der Überzeugung, dass eine Änderung von außen nicht möglich, sondern nur durch demokratiepolitisch legitimiertes Wirken von innen her möglich ist.
Im Folgenden werden verschiedene Bereiche zum Thema „Demokratie und Verfassung“ konkreter angesprochen. In diesem Zusammenhang ist auch auf das Parteiprogramm zum Thema „Rechtsstaat mit Justiz und Verwaltung“ zu verweisen.
Stärkung der Direkten Demokratie
Berücksichtigt man, dass Österreich zuletzt zu einer Wahldemokratie herabgestuft wurde, zeigt sich mit besonderer Deutlichkeit, dass das Recht zu wählen noch keine echte Demokratie schafft. Ausgehend von der Überlegung, dass die Politik nicht alleine den Berufspolitikern überlassen werden sollte, zeigt sich aktuell ein besonderes Bedürfnis nach einer Stärkung der Instrumente direkter und offener Demokratie. VISION ÖSTERREICH setzt sich insbesondere für den Ausbau folgender Formen direkter oder offener Demokratie ein:
- Verpflichtende Volksabstimmung bei Erreichen von 5 % der jeweils laut Wählerevidenz auf Bundes-, Landes- oder Gemeindeebene wahlberechtigten Personen durch Unterstützungserklärungen bei Volksbegehren oder Gesetzwerdungsprozessen über gesetzliche Regelungen;
- Verfassungsrechtliche Verankerung einer gesicherten Bürgerpartizipation, z.B. durch sukzessive Beteiligung von Bürgerparlamenten/Konventen/Bürgerräten, insbesondere auf Landes- und Gemeindeebene zur Entscheidungsfindung auf kommunaler Basis;
- Permanente Bürgerinformation während laufender Legislaturperioden in Form von verpflichtenden und regelmäßigen Rechenschaftsberichten von Bundeskanzlern, Ministern, Landeshauptmännern, Bürgermeistern sowie Landes- und Stadträten im
direkten Dialog mit der Bevölkerung (Allgemeinwille statt Klubzwang); - Schaffung von direkten Kontroll- und Abwahlmöglichkeiten von Regierungsmitgliedern durch das Volk mit qualifizierten Mehrheiten auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene;
- Schaffung eines direkten Initiativrechtes: Mit einer gesetzlich festgelegten Zahl von z.B. 5% der jeweils laut Wählerevidenz wahlberechtigten Personen, die innerhalb einer Frist zu sammeln sind, können Initianten einen Verfassungs- oder Gesetzestext vorschlagen. Die Volksvertretung kann diesem Vorschlag zustimmen oder ihn ablehnen. Bei einer Ablehnung ist zwingend eine Volksabstimmung durchzuführen.
Realpolitische Umsetzung der Gewaltenteilung
Elementarer Zweck der Gewaltenteilung ist die Verteilung der Staatsmacht auf verschiedene Bereiche und Gruppen, die sich wechselseitig zu kontrollieren haben.
Eine funktionierende und scharfe Trennung von Legislative (=Gesetzgebung), Exekutive (=Verwaltung und Vollziehung) und Judikative (=Rechtsprechung) verhindert Machtmissbrauch, Alleinherrschaft und letztlich Korruption. Aktuell verschwimmen die Grenzen dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben in realpolitischer Hinsicht. Dies geschieht beispielsweise dadurch, dass das Parlament die Bundesregierung als oberstes Vollziehungsorgan nicht mehr effektiv kontrolliert oder der parteipolitisch besetzte Verfassungsgerichtshof seiner Funktion als höchste Entscheidungsinstanz im öffentlich-rechtlichen Bereich nicht mehr unabhängig nachkommt. Letzteres zeigte sich in mehrfachen Erkenntnissen bei der Gesetzesprüfung von Corona-Maßnahmen-Verordnungen, die signifikant eine notwendige (meritorische) Feinprüfung bei Grundrechtsverletzungen vermissen ließen.
VISION ÖSTERREICH tritt daher für eine Stärkung der (außer-)parlamentarischen Opposition durch Erweiterung der Minderheitenrechte und für eine parteipolitisch unabhängige Besetzung des Verfassungsgerichtshofes ein.
Reform der Verfassungsgerichtsbarkeit
Die Anlassgesetzgebung sowie der Missbrauch von Ermächtigungsnormen während der Coronakrise brachten die Defizite der Verfassungsgerichtsbarkeit mit besonderer Deutlichkeit hervor. Grundrechtswidrige Verordnungsbestimmungen blieben über Monate hinweg in Bestand, weil es kein Eilverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) gibt. Politiker gaben unumwunden zu, verfassungswidrige Bestimmungen vorübergehend in Kauf zu nehmen, um ihren politischen Willen durchzusetzen.
Zur Gewährleistung eines effektiven Grundrechtsschutzes bedarf es daher der Installierung eines Eilverfahrens, welches im besten Fall kritische Gesetze und/oder Verordnungen schon einer Vorabbeurteilung unterzieht. Dadurch können – trotz der gebotenen Dringlichkeit in Einzelfällen – grundrechtswidrige Maßnahmen bereits im Vorhinein vermieden werden.
Zur Hintanhaltung jeglicher Nähe des Verfassungsgerichtshofes zu den Regierungsverantwortlichen und den dahinterstehenden politischen Parteien bedarf es der vollständigen Reform des Besetzungsvorganges der Richterfunktionen beim VfGH. Dies soll einerseits durch Abschaffung der Vorgabe, dass der Präsident, der Vizepräsident, sechs weitere Mitglieder und drei Ersatzmitglieder nur aus öffentlich-rechtlichen Berufsgruppen (Richter, Verwaltungsbeamte und Rechtsprofessoren) stammen dürfen, geschehen.
Andererseits ersatzlos zu streichen ist das Vorschlagsrecht der Bundesregierung, um jeden Anschein der Befangenheit von Verfassungsrichtern aufgrund ihrer parteipolitischen Nähe zu vermeiden und jede Form von Verhalten gegenüber den Politikern, das man als vorauseilenden Gehorsam bezeichnen kann, zu verhindern. Überlegenswert wäre eine direkte Wahl durch ein Gremium der unabhängigen Gerichtsbarkeit. Zusätzlich sollten die Amtszeiten der Richter nicht mehr gleichzeitig, sondern gestaffelt auslaufen und die Richterkollegen selbst ihren Vorsitzenden wählen. Es sollte auch eine Möglichkeit geschaffen werden, die sicherstellt, dass ein offensichtlich unfähig gewordener Richter aus dem Amt entfernt werden kann. Dafür braucht es ein geregeltes Verfahren, das einerseits transparent und nachvollziehbar ist, andererseits die Privatsphäre der betroffenen Person schützt.
Um verfassungsgerichtliche Erkenntnisse über weitreichende Sachverhalte überprüfen zu können, ist die Schaffung eines zweigliedrigen Instanzenzuges in Erwägung zu ziehen. Jedenfalls erforderlich wäre eine permanente Entscheidungsfähigkeit durch vollzeitbeschäftigte Richter, anstelle der gegenwärtigen vierteljährlichen Sessionen. Die Ruhestands- und Bezugsregelungen der (unabhängigen) Richter des VfGH, VwGH und OGH sollten gleichgestellt werden, da es sich bei diesen Gerichtshöfen nach dem Konzept des B-VG um gleichrangige Höchstgerichte handelt.
Absicherung der immerwährenden Neutralität als Grundprinzip der Bundesverfassung
Österreichs außenpolitischer Weg in den letzten Jahren bewirkte bedauerlicherweise eine permanente Aufweichung der realpolitisch gelebten Neutralität, die in den vergangenen 70 Jahren stets eine friedenssichernde Funktion für unser Land entfaltete.
Derzeit ist die immerwährende Neutralität im Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 über die Neutralität Österreichs (BGBl. Nr. 211/1955) geregelt und könnte – nach vertretenen Lehrmeinungen, auch wenn wir uns diesen nicht anschließen – bereits mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament abgeschafft werden, sofern man davon ausgeht, dass durch die abgeschlossenen Staatsverträge keine völkerrechtliche Verbindlichkeit im Außenverhältnis geschaffen wurde.
VISION ÖSTERREICH tritt daher für eine Absicherung der immerwährenden Neutralität dergestalt ein, dass jede Art der Beseitigung des Neutralitätsstatus zwingend einer Volksabstimmung bedarf.
Abschaffung des Amtsgeheimnisses und Einführung einer umfassenden Auskunftspflicht
Das in den letzten Jahren vermehrte Auftreten von Korruption in politischen und administrativen Bereichen stärkt die schon länger bestehende Forderung nach Transparenz. Der Bevölkerung muss grundsätzlich das Recht zustehen, sich über sämtliche Abläufe in Politik und Verwaltung informieren zu können, sofern dem nicht in konkreten Ausnahmefällen geheimhaltungsbedürftige Interessen entgegenstehen.
VISION ÖSTERREICH fordert daher, die Abschaffung des Amtsgeheimnisses, das ein Relikt aus alten Zeiten darstellt. Staatliches Handeln muss für den Bürger transparent und nachvollziehbar sein, weshalb auch der Regelungsbereich des Auskunftspflichtgesetzes dahingehend zu erweitern ist, dass Behörden und Selbstverwaltungskörper grundsätzlich über formlosen Antrag die erforderlichen Informationen stets an die Bevölkerung zu erteilen haben.
Absicherung des nationalen und internationalen Grundrechtskataloges
Das politische Handeln des (Verordnungs-)Gesetzgebers in jüngster Zeit offenbarte, wie einfach Grund- und Freiheitsrechte, beispielsweise unter dem Vorwand des Gesundheitsschutzes in Kombination mit einer gleichgeschalteten Medienberichterstattung, ausgehöhlt werden können. Vor dem Hintergrund einer Angst- und Panikmache wurde es beispielsweise in einer auffallenden Art und Weise verabsäumt, die üblichen Voraussetzungen für die (ausnahmsweise zu argumentierende) Zulässigkeit von Grundrechtseinschränkungen (Öffentliches Interesse, Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit) nach den bisher üblichen hohen Standards detailliert zu prüfen. Der Priorität der Grund- und Freiheitsrechte im Stufenbau der Rechtsordnung ist daher wieder – erforderlichenfalls auch durch formelle oder gesetzliche Klarstellung – die vor der Coronakrise jahrzehntelang judizierte Bedeutung zuzumessen.
Der Verfassungsgerichtshof ist konkret per Verfassungsgesetz zu verpflichten, seine zukünftige Grundrechtsprüfung bei Individualanträgen auf Normenkontrolle (Art. 139, Art. 140 B-VG) meritorisch durch Aufnahme aller angebotenen Beweise durchzuführen. Ein Verweis auf eine bloß vertretbare wissenschaftliche Meinung des Verordnungsgebers darf in Zukunft als Begründung für (massive) Grundrechtseinschränkungen nicht mehr ausreichen, dies gilt insbesondere bei Eingriffen in die körperliche und geistige Integrität.
Ferner ist das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit insofern effektiv sicherzustellen, als darauf gestützte Demonstrationen nicht durch Behördenbescheide kurzfristig verhindert werden können, sondern die Untersagung stets einer gerichtlichen Verfügung im Vorhinein bedarf.
Zur Sicherung der freien Meinungsäußerung ist neben der Bekräftigung des Art. 10 EMRK die bislang bereits judizierte horizontale Drittwirkung von Grundrechten zur Abwendung jeglicher Zensur von meinungsbildenden (sozialen) Medien im Verfassungsrang zu verankern.
Stärkung der Rechte des Bundespräsidenten und Möglichkeit der Amtsenthebung
Dem Bundespräsidenten sind ergänzende Rechte einerseits zur Abberufung auch von Regierungsmitgliedern der Landesregierungen sowie andererseits zur Einbringung von Anträgen im Nationalrat (z.B. Gesetzesinitiativen und -änderungen) einzuräumen.
Der Bundespräsident soll durch ein qualifiziertes Misstrauensvotum in Form einer Volksabstimmung jederzeit seines Amtes enthoben werden können, sofern dazu ein begründeter Antrag auf Basis eines ausreichend unterstützen Volksbegehrens (10 % der wahlberechtigen Personen) zu vorliegenden Pflichtverletzungen eingebracht wurde.
Anpassung der Anzahl der Nationalratsabgeordneten
Eine weitere sinnvolle Maßnahme besteht darin, die Zahl der Parlamentarier möglichst niedrig zu halten bzw. zu verringern. Die Erwartung, dass die Parlamente in ihrer Zusammensetzung ein Querschnitt der Bevölkerung sind und so das Volk vertreten werden, hat sich von Anfang an als Illusion erwiesen. In der Verfassungsrealität vertreten die Parlamentarier aufgrund des gelebten Clubzwangs primär Parteiinteressen. Und selbst, wenn sie nicht immer gemäß der Parteilinie abstimmen, sind sie von ihrer Herkunft oder Profession her kein Spiegelbild der Bevölkerung. Mit der Größe des Parlamentes steigt zwar die Länge der Debatten, aber nicht deren Qualität (siehe auch EU-Parlament).
In Summe stellt sich im neuen Jahrtausend die Herausforderung, einen Verfassungsrahmen zu entwickeln, der folgende Bedingungen erfüllt – ein Staatsmodell,
1. das Kriege zwischen Staaten sowie Bürgerkriege verhindert;
2. das nicht nur einer privilegierten Schicht von Menschen dient, sondern allen Menschen innerhalb dieses Staates;
3. das den Menschen ein Maximum an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bietet;
4. das im Zeitalter der Globalisierung der Konkurrenz gewachsen ist.